An unterschiedlichen Stellen habe ich bereits angedeutet, dass ich mich im Rahmen meines Forschungssemesters gezielt mit Fragen von Normativität befasse. Besonders interessieren mich dabei Normativitäten, die durch unser aller Vorstellungen in formale Bildung, insbesondere aber ins Studium und damit der Hochschulbildung eingeschrieben sind und durch Technologie weiter verfestigt werden. Und genau das bedeutet leider auch: Bildungsungleichheiten werden gerade nicht durch den vermeintlich gezielten Einsatz von digitalen Lerninfrastrukturen abgebaut. Zu diesem Schluss komme ich auch deswegen, weil wir aufgrund von > 70 Jahren diesbezüglicher Forschung wissen, dass Technik allein kaum im Stande ist, das Lernen zu verändern oder – Gesellschaft als das große Ganze im Blick – ‚gerechter‘ zu machen. Stattdessen reproduzieren Forschende wie Akteur*innen einer ‚digitalen Bildung‘ vielfach Vorstellungen eines solchen Glaubens, was mich immer deutlicher nach den Grenzen von Technologie fragen lässt. Denn was gerecht ist, lässt sich nicht damit beantworten, dass eine beliebige Plattform für das eigene Lernen zum Einsatz kommt. Stattdessen findet hier Verantwortungsdelegation ‚nach unten‘ statt und damit eine Beteuerung von Selbstorganisation, die nicht einmal mehr nach der Selbstorganisationsfähigkeit von Menschen fragt und die ohnehin ausgeprägte Konsumhaltung bei Lernenden als Nutzer*innen verstärkt. Und Nutznießer*innen dieser Entwicklungen sind zugleich andere.
In die allgemeinen Überlegungen rund um die in meinem professionellen Feld noch immer ausgeprägte Möglichkeitsorientierung reihten sich in der zurückliegenden Woche gleich zwei Termine ein:
So fand (1) ein Treffen in ganz kleiner Runde statt, das sich entlang bildungspolitischer Initiativen letztlich an der Frage abgearbeitet hat, was im Kontext von Plattformökonomie(n) gerecht ist respektive sein kann. Mit dieser Frage bin ich in unterschiedlichen Forschungszusammenhängen ständig befasst, dass ich nicht lange brauchte, um einem solchen Treffen zuzustimmen, im Gegenteil: Gerade weil der Glaube an Technologie weiterhin geradezu ideologisch aufgeladen ist, war sehr erfrischend, dass wir in dieser Runde unter Forschenden der Erziehungs- und Sozialwissenschaft sowie Informatik rasche Einigkeit erzielen konnten, was uns gegenwärtig (an-)treibt – und wir dementsprechend viel lieber darüber ins Gespräch kamen, wie sich Gerechtigkeit im Spiegel aktueller Forschung ‚fassen‘ lässt, einschließlich der Prämisse, aktuelle Formen von Datafizierung nicht einfach fortzuschreiben (für einen Überblick siehe unseren bald verfügbaren Band ausgehend vom Aid-Projekt). Solche diskursiven Gespräche über Grenzen hinweg sind in aktueller Wissenschaft selten geworden und inspirieren mich und meine Arbeiten daher sehr.
Auch das Wissenschaftsgespräch des diesjährigen Dies Academicus der FernUniversität in Hagen war (2) ausgerichtet auf die Frage, „[w]ie Technologie das Lernen, das Bildungssystem und die Hochschulen verändert“. Neben dem Kollegen Thomas Ludwig war ich zum Gespräch vor interessiertem Publikum mit der Rektorin eingeladen, worüber ich mich nicht zuletzt deswegen sehr gefreut habe, weil ich Runden dieser Art aus unterschiedlichen Gründen interessant und auch wichtig finde: Anhand von sehr konkreten Beispielen wie ChatGPT konnten wir über eine Automatisierung des Lernens sprechen und angesichts der Konstellation der Beteiligten waren wir jeweils zur Positionierung aufgefordert. Auch deswegen standen Grenzen einer Optimierung von Lernen und Bildung gleichermaßen im Raum wie Fragen von Heterogenität, einschließlich aller Erwartungen, die mit einer (vermeintlichen) Individualisierung von Lernen und Bildung einhergehen. Gerade weil (Bildungs-)Technologien hier nicht ‚gerecht‘ agieren, war mir wichtig, auf die Grenzen unseres Handelns auch ökonomiekritisch zu verweisen. Auf welches Problem Digitalisierung die Lösung ist, stand frei nach Armin Nassehi somit einmal mehr im Raum.